Laut Polizeilicher Kriminalstatistik (PKS) sollen Kriminalität und Gewalt 2023 gegenüber 2022 gestiegen sein. Die AfD verweist auf die Aussage in der PKS, dass besonders viele Tatverdächtige keinen deutschen Pass hatten. So will die AfD ihre rassistische Stimmungsmache glaubwürdig erscheinen lassen. 

Doch wird das Leben in Deutschland wirklich unsicherer? Und wächst vermeintliche „Ausländerkriminalität“ wirklich – beziehungsweise was sagt die PKS eigentlich tatsächlich aus? Und was nicht?

Keine Verbrechensexplosion in 2023

Die PKS enthält alle Straftaten, die bei der Polizei angezeigt oder durch polizeiliche Ermittlungen bekannt wurden. Tatsächlich sind 2023 laut PKS insgesamt weniger Anzeigen eingegangen als in jedem einzelnen Jahr zwischen 1997 und 2008. Den prozentual größten Anstieg seither gab es 2022 – also nach der Pandemiezeit, in der viel weniger Menschen unterwegs waren und Geschäfte und Gastronomie geschlossen blieben. Eine Verbrechensexplosion hat 2023 also keineswegs stattgefunden.

Was ist dran an der Zunahme mancher Arten der Gewaltkriminalität in der PKS?

In der PKS sind verschiedene Arten von Straftaten enthalten – von der Beleidigung über den Cybercrime bis hin zum Mord. Gewaltkriminalität nahm laut PKS zu und erreichte 2023 den höchsten Stand seit 2007. In dieser Kategorie sind Fälle von Raub im letzten Jahr besonders stark gestiegen. Deutlich zugelegt haben auch Nötigung, Bedrohung und Diebstahl, inklusive Wohnungseinbruch. Nur leicht angestiegen ist die Körperverletzung. Mord, Totschlag und Vergewaltigung hingegen haben kaum zugenommen. 

Die Zahlen sind jedoch mit Vorsicht zu genießen. Die von der PKS erfasste Zunahme von Gewaltkriminalität kann Kriminolog*innen zufolge daher rühren, dass die Gesellschaft stärker sensibilisiert ist und deshalb mehr Anzeigen erfolgen.

Zudem werde nur ein geringer Teil der Straftaten von der Polizei selbst erkannt. Etwa 90 Prozent werden von Bürger*innen gemeldet und nicht durch eigene Ermittlungstätigkeit der Polizei zur Anzeige gebracht.

Die PKS ist verzerrt

Seit Jahren weisen namhafte Kriminolog*innen darauf hin, dass die PKS nur wenig aussagekräftig ist. Der Kriminologe Martin Thüne etwa spricht von einer “problematischen Datengrundlage”. Die PKS sei “unvollständig, verzerrt, potenziell manipulierbar und ungewichtet”. Der Kriminalwissenschaftler André Schulz problematisiert, dass die PKS “in ihrer Aussagekraft regelmäßig völlig überschätzt” werde. 

Da sie nur Straftaten erfasse, die angezeigt wurden oder der Polizei durch eigene Ermittlungsarbeit bekannt wurden, sei die PKS “nicht mehr als eine Strichliste, die nichts über die Qualität der Kriminalität aussagt. Die PKS unterliegt zahlreichen Verzerrungsfaktoren und kann als Ausgangsstatistik weder aufzeigen, ob jemand tatsächlich schuldhaft eine Tat begangen hat, noch ob das Verfahren später eingestellt wurde oder die Person nachweislich unschuldig war, so Schulz.

Nach Aussage des Kriminologen Thomas Feltes bewertet die Polizei Taten meist schwerer, als sie später von der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht eingeordnet werden.

Hinzu kämen nicht unerhebliche Fehler bei der Eintragung der Fälle in die Statistik und Mehrfacherfassungen. Die Expert*innen gehen von “bis zu 20 Prozent Fehlerfassungen” aus!

Die PKS und ihr Missbrauch

Auch der Kriminologe Tobias Singelnstein kritisiert, dass die PKS “massiv überinterpretiert” werde. Laut Expert*innen werden aus den Zahlen regelmäßig unzulässige Schlussfolgerungen gezogen. Diese würden dann instrumentalisiert, um Panik zu schüren und schärfere Strafgesetze zu fordern. In der öffentlichen Debatte sei ein Kreislauf entstanden, der sich jedes Jahr wiederhole. Beispiele hierfür seien die Panikmache vor Ausländer*innen, die überdurchschnittlich oft kriminell seien, und vor angeblich zunehmenden Messerangriffen. 

Die PKS und die Kategorie “Ausländerkriminalität”

Die nicht-deutschen Tatverdächtigen sind laut PKS 2023 insgesamt um 17,8 Prozent gestiegen. Die Aussagekraft dieser Zahl ist jedoch ebenfalls sehr gering, die Zahl an sich irreführend, so André Schulz. So müssten bestimmte Straftaten wie die unerlaubte Einreise oder Verstöße gegen das Aufenthalts- und das Asylverfahrensgesetz herausgerechnet werden, da diese nur von Ausländern begangen werden können. Damit beträgt der Anstieg dann noch 13,5 Prozent. Zudem unterliegt die PKS zahlreichen Verzerrungsfaktoren, so zum Beispiel beim Anzeigeverhalten. “Man kann empirisch belegen, dass Menschen, die „ausländisch“ aussehen, öfter angezeigt werden als Menschen, die eher „deutsch“ aussehen,” so Schulz.

Deutschland hatte zwar eine hohe Zahl von Zuwanderern, hauptsächlich durch die Kriege in Syrien und der Ukraine. Setzt man die Zahl der ausländischen Tatverdächtigen jedoch ins Verhältnis zu der durch Einwanderung deutlich gestiegenen Anzahl nichtdeutscher Personen in der Gesamtbevölkerung, fällt der Anstieg bei ausländischen Tatverdächtigen ähnlich, teilweise sogar geringer aus als bei deutschen Tatverdächtigen. “Grundsätzlich hat Herkunft, Ethnie oder Religion nichts damit zu tun, ob ein Mensch kriminell wird oder nicht. Insgesamt ist die getrennte Erfassung von deutschen und nicht-deutschen Tatverdächtigen sinnlos und unheilvoll, sie bedient nur Rassismus und Ausländerfeindlichkeit,” kommentiert Schulz.

Die vermeintliche Zunahme von Messerangriffen

Mehrere Medien berichteten nach Veröffentlichung der PKS, dass registrierte Messerangriffe stark gestiegen seien. Tatsächlich basierte diese Aussage auf der, so Schulz, “expertisenfreien” Behauptung eines Polizeigewerkschafters. Tatsächlich habe das BKA erst Anfang 2020 mit der Erfassung von Messerangriffen begonnen. Grund hierfür sei hauptsächlich medialer Druck gewesen. Bei genauer Betrachtung stelle man fest, dass die Zahl von Messerangriffen 2023 im Vergleich zu 2022 sogar leicht zurückgegangen sei.

Die Ursachen von Gewalt und Kriminalität

Abgesehen von Verzerrungen und dem Mangel an Aussagekraft gibt die PKS keinerlei Auskunft über die Ursachen von Gewalt.

Registrierte Gewaltdelikte nahmen vor allem im öffentlichen Raum und in ökonomisch armen Regionen zu. Daran zeigt sich der Einfluss wirtschaftlicher und sozialer Belastungen. Finanzielle Unsicherheit, eigene Gewalterfahrungen oder – bei Asylsuchenden – die Lebenssituation in Erstaufnahmeeinrichtungen spielen hier eine große Rolle.

Der Kriminalwissenschaftler Henning Müller kritisiert, dass in der PKS nur sehr wenige möglicherweise relevante kriminologische Daten zu Tatverdächtigen berücksichtigt werden, sehr wohl aber „nichtdeutsch“ und „Zuwanderer“. Laut Müller sind andere Daten für die Ursachensuche jedoch viel wichtiger oder können viel wichtiger sein. Aber solche biografischen Daten werden entweder nicht aufgezeichnet oder nicht herausgehoben. Dazu zählen beispielsweise städtische/ländliche Herkunft, Familiensituation, Bildungsgrad, Einkommenslage, Erwerbstätigkeit, Wohnung, Alter oder Geschlecht.

Dies führt dazu, dass sich Polizei, Medien und Bevölkerung auf diese wenigen erfassten Merkmale fokussieren, die dann unmittelbar für die Ursachen der Straftatbegehung gehalten werden. “Mit der fatalen Folge, dass die Einwanderung hauptsächlich wahrgenommen wird als ein Kriminalitätsproblem und einzelne Personen, die dieses Merkmal aufweisen, schneller verdächtigt werden oder für die Kriminalität anderer aus derselben Gruppe („Nichtdeutsche“) mitverantwortlich gemacht werden,” erläutert Müller.

Da diese Kategorien “eine so prominente Rolle bekommen (durchgehende Differenzierung zwischen Deutschen und Nichtdeutschen, Lagebilder zur Kriminalität der „Zuwanderer“) lässt sich eine gewisse manipulative Wirkung kaum leugnen. Für mich ist allerdings die problematischste Folge, dass die polizeiliche Kriminalstatistik überhaupt in ihrer Aussagekraft überschätzt wird und als etwas wahrgenommen wird, was sie (sogar ausdrücklich!) gar nicht ist oder leisten kann,” folgert Müller.

Als Fazit lässt sich also festhalten, dass es keine Verbrechensexplosion gibt. Die AfD und andere rechte Kräfte nutzen die PKS lediglich, um Rassismus zu schüren.

Quellen: